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AutorenbildChristina Bock

Die Sache mit dem Aufnehmen oder hast du eigentlich noch einen Cd Player?

Aktualisiert: 10. Sept. 2023

Ich erinnere mich noch genau, es war 2019 in Amsterdam. Ich lief an den Grachten entlang und sah ein junges Pärchen mit Gitarre, kleinem Verstärker und 2 Mikrophonen. Davor, im Gitarrenkoffer, ein paar Cd's. 14 Euro. Was ich hörte gefiel mir, also kaufte ich mir eine Cd. Ich mochte die Idee, dass das Geld direkt an die Beiden geht und ich mochte ihre Musik.

4 Jahre und einen Umzug später, besitze ich gar keinen Cd Player mehr. Ein externes Laufwerk um alte Kindercds einzuspielen und DVDs vergangener Produktionen lesen zu können.

Dafür steht in meinem Wohnzimmer wieder ein "Es dreht sich" (wie meine Tochter den Plattenspieler gerne nennt).

Darüber hängt ein Regal mit alten Kinderplatten, geerbt oder erflohmarktet und mit einigen neuen Jazzplatten.

Trotzdem habe ich mich aufgemacht und viel Zeit, Geld und Mut in die Hand genommen um aufzunehmen. Ohne Label. Dafür mit einer Idee.

Einige der Stücke hatten wir sogar schon einmal aufgenommen als Auftrag, waren jedoch so unzufrieden mit uns, dem Sound, dem Zeitdruck und auch dem Gesamtkonzept, dass wir es noch einmal neu denken und machen wollten.

In genau diesem Entwicklungsprozess tauchten einige Fragen auf.


Welches Umfeld brauchte ich als Musiker um Kreativ zu werden, um mich beim Aufnehmen wohl zu fühlen?


Für mich steht und fällt Alles mit: dem WIE und dem WER.

Es gibt kaum noch Zeit für die Künstler in Ruhe aufzunehmen. 2-4 Tage sind Standard. Zeit bedeutet für mich, die Freiheit des wirklichen "Probierenkönnens". Natürlich geht es auch mit weniger Zeit.

Ich habe etwas direkt im Vergleich erlebt; Ein nahezu identisches Programm unter völlig unterschiedlichen Bedingungen. Ein Erfahrungsbericht.


Wir haben uns an "alten" Aufnahmen und Aufnahmeprozeßen orientiert, den ganz alten ;) Ganze Takes, die vor allem atmosphärisch stimmig sind. Nicht jedes Kratzen, oder suboptimale Klingen wird sofort herausgelasert. Wenn geschnitten wird, dann wenig. Kein polierter Sound. Wenige Mikrophone, so nah wie möglich. Wir haben uns nach fast jedem Take die Zeit genommen, das Aufgenommene auf den verschiedenen Mikrophonen anzuhören. Das hat uns viel erzählt. Beispielsweise ob die Sprache deutlich genug war, konnten wir am besten auf dem Mikro der 20er Jahre hören.

Intonation und Agogik zeigten sich besonders gut auf dem Mikrophon der 50er.


Das WER ist für mich als energetisch fühliger Mensch fast genauso wichtig. Die Energie im Raum macht sich hörbar. Eine unfreundliche Stimme, die mich auf Intonationsschwierigkeiten, oder fehlende Pausen hinweist, hilft mir nicht. Es soll passen.

So ist für mich das Gefühl entstanden, eine gute Aufnahme gemacht zu haben. Und natürlich durch die absolute inhaltliche Mitbestimmung.


Aber was ist eigentlich eine "gute" Aufnahme?

Ich persönlich glaube, eine, gute, sinnvolle Aufnahme bringt etwas Neues.

Es ist kaum noch interessant für Labels eine Cd zu produzieren, denn Fakt ist, niemand kann mehr von Cds leben (vor allem im Klassikbereich) und kaum einer kauft sie mehr. 2022 waren die Verkaufszahlen (laut Statista) auf einem neuen Tiefpunkt und brachen um 23% zum Vergleich des Vorjahres ein. Digitale Produkte haben das physische Produkt längst überholt. Aber auch vom Streaming kann fast kein Künstler leben. Ein Dilemma.

Für uns Musiker ist eine Aufnahme eine (mittlerweile meist digitale) Visitenkarte, ein Vertrag mit einem Majorlabel; ein veralteter Ritterschlag und oft mit Knebelverträgen verbunden, die weit über das Recht an den Aufnahmen hinausgeht. Unabhängige Labels gibt es immer weniger und bei den großen Labeln wenig Mitbestimmung, das gebärt vor allem Mainstream.


Also was könnte das NEUE heute noch sein?

Für mich gibt es heute noch drei Motoren eine CD aufzunehmen/digital zu produzieren.

*Ersteinspielungen und Uraufführungen.

Die Idee etwas für das Repertoire festzuhalten und wirklich etwas Neues, Ungehörtes zu schaffen. Übrigens der Grund warum im Pop und Jazz diese Sinnfrage gar nicht gestellt werden muss.

*Konzepte.

Ein Ideenschirm, der verschiedene, auch schon dagewesene Werke unter sich vereint und sie dadurch "neu" hörbar macht.

*historische/moderne "Einspielpraxis"

Etwas oft Gehörtes in ein authentisches Umfeld bringen oder beispielsweise mit authentischen Instrumenten in ein neues Licht rücken. Oder Stücke in einen aktuellen Kontext bringen.


Ja, aber...

Eine Stimme oder einen Orchesterklang für die Nachwelt festzuhalten, ist so gut wie unnötig geworden. Streamings und Mitschnitte an jeder Ecke erledigen das. Diese Aufgabe muss keine Aufnahme mehr erfüllen. Die Idee allerdings ist schön, dass ein Label seine Ressourcen nutzen würde, um das Schaffen junger Musiker für die Nachwelt festzuhalten oder ihnen zumindest gutes Material für die Eigenwerbung zu bescheren.


Dennoch, wie bei leeren Konzertsälen auch, lohnt sich die Frage nach dem "Warum tue ich, was ich tue?", und "gibt es dafür ein Publikum?" genauso wie " ist das noch zeitgemäß?.


Klassik recorded 2.0


Ich wünschte mir, dass der Ausverkauf kleiner und mittlerer Labels aufhört. Das sich getraut wird Newcomer, spannende Konzepte und Cd's unter den obergenannten Gesichtspunkten zu unterstützen.

Mit der Zeit gehen, bedeutet für mich auch Anzuerkennen, dass sich ein System verändert. Und das ist auch gut so und birgt viele neue Möglichkeiten.

Ich freue mich weiter über jedes auditiv, künstlerische Portrait, und ich glaube, es können immer noch fantastische Aufnahmen und Projekte das Licht der Welt erblicken.

Aber trauen müssen wir uns. Auf allen Seiten.



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